Touristen

This entry is part 7 of 7 in the series Kanada BC 2012

An der Südspitze Alaskas, zwischen den Bäumen, wartet der Japaner auf den Bären. Durch den Wald schlängelt sich ein mehrere Meter breiter, flacher Fluss. Das Wasser ist voller Lachse. Die Tiere sterben gerade.

Hier endet die Reise der Chum, der pazifischen Hundslachse. Sie haben abglaicht und sind zu schwach, um ins Meer zurück zu ziehen. Hier riecht die Luft nach verwesendem Fisch. Und genau hier hin kommen die Bären.

Der Japaner trägt einen Tarnanzug. Auch das große, schwere Teleobjektiv ist mit Neoprenstoff im Camouflage Look überzogen. Die Kamera sieht teuer aus. Sehr teuer. Kein Fleck, kein Kratzer findet sich auf den neuen Lederstiefeln. Der Mann war noch niemals vorher in der Wildnis.

Auf der großen, holzgezimmerten Aussichtsplattform, die sich fast hundert Meter den Fluss entlang windet, stehen etwa dreißig bis vierzig Touristen. Das Morgenlicht erleuchtet mehr und mehr die Szenerie. Und schließlich erscheint ein Wolf.

Die Fotoapparate klicken. Der Japaner hält den Knopf für die Dauerauslösung gedrückt. Am Ende hat er mehr als zweitausend Fotos auf der Speicherkarte.

Die Wild Life Public Viewing Area wird in jedem Reiseführer Kanadas beschrieben. Streng genommen liegt sie allerdings in den USA. Reisende müssen in dem kleinen, gottverlassenen Ort Hyder die Grenze passieren. Früher, zu Goldgräberzeiten, lebten hier, direkt am Meer gelegen, etwa zehntausend Menschen. Nach 1925 schrumpfte die Einwohnerzahl zeitweise auf nur noch zwanzig Personen. Heute gibt es hier wieder einen Aufschwung der Goldförderung, einige schöne Hotels und ein nettes, altmodisches Café.

 

Der Wolf springt zwischen die sterbenden Lachse. Der Japaner schaut regungslos auf das Display seiner Kamera. Zwei Schweizer stehen etwas abseits. Sie wollen den Bären sehen.

Viele Menschen kommen in den Sommermonaten hier her. Die Eintrittskarte kostet 5 Dollar und gilt den ganzen Tag lang. Die Show bietet echte Wildtierbeobachtungen. Zur Zeit kommt ein großer Grizzly regelmäßig zum Fischen an den Fluss.

Die Schweizer sind müde. Ihre Welt ist eine ganz andere. „Ein Freund von mir wohnt in Johannesburg.“ sagt der Eine zum Anderen. „Eine schöne Villa außerhalb. Als ich einmal zu Besuch war, sind wir in die Innenstadt gefahren. Eine Eskorte mit mehreren gepanzerten Fahrzeugen. Und die Sicherheitsleute hatten die Maschinengewehre im Anschlag, oder?“

Der Wolf frisst sich an den toten Lachsen fett. Sonst passiert nicht viel. Das Interesse der Touristen ebbt ab. Die dicht gedrängte Gruppe vor dem Holzzaun der Plattform löst sich auf. Man lagert sich sitzend auf bequemen Bänken. Nur der Japaner bleibt stehen.

 

„Wir mussten mit der ganzen Gruppe direkt durch die Townships fahren.“ erzählt der Schweizer. „Du musst da mit Vollgas durch. Wenn einer im Weg steht, wir er halt überfahren, oder?“ Er schiebt sich etwas Kautabak unter die Oberlippe. „Frauen, Kinder. Egal. Entweder die oder wir. Würdest Du nur einmal anhalten, wäre alles vorbei. Da kommt man dann nicht mehr lebend raus.“

Der Wolf ist verschwunden. Autos und Wohnmobile fahren zurück zur Grenze. Der Bär kommt nicht mehr.

 

 

 

Series NavigationDie volle Packung

Geschrieben von admin am 16. August 2012 | Abgelegt unter Aktuelles | Keine Kommentare

Einen Kommentar schreiben